Der Einsiedler

Es war schon später Abend als sich der Wind legte und der Regen endlich aufhörte gegen die dünnen Wände des Zeltes zu schlagen. „Zum Glück ist dieses Material wasserfest“, dachte sich Goigan und dankte in Gedanken den findigen Gnomen für diese nützliche Erfindung.
Langsam steckte er seinen Kopf aus dem Zelt und sog die frische Luft tief in seine Lungen ein. Er hatte sich sehr auf dieses Wochenende gefreut.

Einmal im Jahr zogen er und sein Vater in die Gebirge von Dun Morogh hinaus, wie es seit jeher Tradition bei den Vätern und Söhnen des Silberhammer Klans gewesen ist. Als Kind hatte er diese Wochenenden immer sehr geliebt, gemeinsam unternahmen sie Wanderungen, sie bestiegen die höchsten Berge und jagten gemeinsam die gefährlichen Winterwölfe.
In den letzten Jahren hatten sie zunehmest keine Gelegenheit mehr, dieses Wochenenden zu genießen, immer wurde ihre Ruhe von Abenteurern gestört, die auf Schatzsuche waren, oder sich auf dem Weg nach Gnomegeran verirrt hatten und dann einfach nur dem Leuchten des Lagerfeuers gefolgt waren.

Aus diesem Grund waren Goigan und sein Vater Oron in diesem Jahr an einen anderen Ort gegangen. Der Aufstieg war sehr mühsam und ihre Widder konnten ihnen auf dem unwegsamen Gebiergspass nicht helfen. Doch es hatte sich gelohnt, denn der Ausblick auf den Loch lohnte sich. Die Gebirgskette, die Dun Morogh und Loch Modan trennte, war sehr unwegsam und blieb aus diesem Grund von den vielen Abenteuergruppen verschont. Aus diesem Grund gab es hier oben aber auch keine wilden Tiere, keine bösen Trolle oder hinterhältige Troggs, deren Jagd das Abenteuer hätten interessanter gestalten können.
Dennoch versprach es ein schönes Wochenende zu werden. Am Abend des fünften Tages genossen die beiden Zwerge ihr Abendessen am Lagerfeuer und schauten auf den friedlich da liegenden See hinaus. Am nächsten Morgen, so nahmen sie sich vor, wollten sie ihre Umgebung etwas genauer erkunden. Daraus wurde allerdings nichts, denn noch während der Nacht zogen dichte Wolken auf, die sich bis zum nächsten Abend nicht verzogen. Zwar machte der Regen den Zwergen im Grunde nichts aus, doch hier oben so dicht am Abhang war es sehr gefährlich. Zumal sie sich in dem Gelände nicht auskannten und jeder Schritt ihr letzter hätte sein können, verzichteten sie darauf ihrem Plan nachzugehen und verbrachten die meiste Zeit im Zelt damit, sich alte Geschichten zu erzählen, über den Sinn des Lebens zu philosophieren und natürlich über Frauen zu reden. Es war im Grunde ein sehr schöner Tag. Aber trotzdem waren beide froh, als der Regen endlich stoppte und sie sich an der frischen Luft die Beine vertreten konnte.

Die Wolken hatten sich verzogen und der Mond hüllte die Gegend in sein fahles Licht. Goigan richtete seinen Blick gen Himmel und dachte an die vielen Abenteuer zurück, die er schon erlebt hatte und lies seine schönsten und traurigsten Erlebnisse vor seinem geistigem Auge Revue passieren. Solche Momente erlebte er oft, besonders in Nächten wie dieser, wo der Mond besonders rund und hell auf die Welt hinab schien. Völlig in seine Gedanken versunken achtete er gar nicht auf seinen Vater und bemerkte auch nicht, dass dieser sich von ihrem Lager entfernte.
Oron hatte schon gehört, dass hier oben in der unwirtlichen Gegend ein alter Zwerg leben sollte, doch hatte er es bisher nur als Ammenmärchen abgetan. Immerhin erzählte schon sein Vater ihm diese Geschichte und der hatte sie auch schon von seinem Vater gehört. Selbst wenn hier oben je jemand gelebt hätte, wäre er schon längst gestorben.
Und doch musste Oron sofort an diese alte Geschichte denken, als er das flackernde Licht eines Feuers hinter einigen Felsen sah. Eigentlich hätte er es besser wissen sollen, nicht alleine aufzubrechen, doch seine Neugierde war geweckt und aus einem komischen Grund konnte er seine Gedanken nicht mehr von der Geschichte abwenden, die sein Vater ihm als Kind so oft erzählt hatte. War vielleicht doch etwas Wahres an der Geschichte? Oder spielte seine Fantasie nun einen Streich? Es gab nur einen Weg das heraus zu finden und so ging Oron kurzerhand los. Er machte sich nicht die Mühe Goigan bescheid zu geben. Der war eh in seinen Gedanken versunken, etwas was Oron selbst auch schon oft passiert war und er wusste es wäre sinnlos ihn jetzt irgendetwas mitteilen zu wollen.
Gezielt ging er auf die Felsformation vor ihm zu, begierig darauf zu erkunden, wer das Feuer wohl entzündet haben mochte. Oron kam anfangs gut auf voran, immerhin hatte er als gestandener Zwerg schon die unmöglichsten Berge erklommen, da konnten ihn ein paar Felsen nicht aufhalten. So dachte er zumindest…

Ein Schrei durchschnitt die Nacht und das Bild einer Nachtelfe verblasste in Goigans Gedanken. Erschrocken sah er auf, doch außer dem Mond und den Sternen, die treu wie immer auf die Erde hinabschienen, war nichts zu sehen. Hastig warf er einen Blick ins Zelt doch eigentlich wusste er schon, dass er es leer vorfinden würde. Er hatte die Stimme, die gerade geschrieben hatte, als die seines Vaters erkannt. Wo war er nur und wieso hatte er ihm nicht gesagt, dass er sich vom Lager entfernen wollte. Wilde Gedanken schossen ihm durch den Kopf. Er musste ihn finden und zwar schnell. Goigan zwang sich einen kühlen Kopf zu bewahren und hockte sich neben das Zelt. Es sollte nicht allzu schwer sein, auf dem feuchten Boden die Spur seines Vaters zu folgen. Schnell griff er nach einem Seil und einer Fackel, entzündete sie und machte sich auf den Weg. Auf dem schlammigen Boden war es einfach für den erfahrenen Jäger, die Spur seines Vaters zu folgen, doch als der Untergrund felsig wurde, musste Goigan einige Male anhalten, um die Spur nicht zu verlieren. Hinter den Felsen flackerte ein Licht und mehrere Schatten huschten über die Felsen. Dort hinten war auf jeden Fall jemand und genau dorthin führten auch die Spuren seines Vaters.

Oron bemerkte die Gestalt erst, als sie direkt hinter ihm stand. Doch es war zu spät! Ein dumpfer Schlag war das letzte was er verspürte, dann sackte er in ein tiefes schwarzes Nichts.
Mit einem pochenden Hinterkopf kam Oron wieder zu Bewusstsein. Er war gefesselt und ihm waren die Augen verbunden. Nicht weit von der Stelle wo er lag, mussten sich einige Leute aufhalten, ihre gedämpften Stimmen klagen zu ihm herüber doch konnte er nicht verstehen, worüber sie sich unterhielten. Der Boden war hart doch trocken, er musste sich also in einer Höhle befinden. So leise wie es ihm mit auf dem Rücken gefesselten Händen möglich war, tastete Oron seine Umgebung ab, auf der Suche nach einem scharfen Stück Fels, um seine Fesseln zu zertrennen. Als die Stimmen mit einem Mal verstummten, hielt Oron inne. Ob sie ihn gehört hatten? Er lauschte einen Moment lang in die Nacht, doch vernahm er keinen Laut. Einen kurzen Augenblick verharrte er bewegungslos auf dem Höhlenboden und machte sich dann wieder daran, sich von seinen Fesseln zu befreien.

Goigan achtete gar nicht mehr auf mögliche Spuren, sondern ging zielstrebig auf das Leuchten zu. Er war sich sicher, dass sein Vater dort war und er war sich sicher, dass er nicht alleine war.
Vorsichtig spähte er um die Ecke eines großen Felsens. Vor ihm erstreckte sich eine kleine Lichtung, die von allen Seiten von Felsen umgeben war. In der nördlichen Wand machte er eine kleine Höhle aus und davor tummelten sich vier, nein fünf Gestalten an einem Lagerfeuer. Sie schienen in irgendwelchen Vorbereitungen vertieft zu sein und streuten irgendetwas in die Flammen des Feuers, achteten aber nicht auf ihre Umgebung. Zunächst einmal löschte Goigan seine Fackel, er wollte keine Aufmerksamkeit erregen da er nicht wusste, mit wem er es dort zu tun hatte. Das Mondlicht musste ihm nun reichen. Er kniete nieder und untersuchte seine Umgebung. Er fand die Spuren zweier Humanoiden und eine Schleifspur und sie führte wie nicht anders zu erwarten war, direkt zu der Höhle. Wer immer diese Leute waren, sie hatten seinen Vater entführt, darüber war sich Goigan sicher.
Er musste es genauer wissen. Er musste wissen mit wem er es zu tun hatte und ob die Leute bewaffnet waren. Er selber hatte nur ein Seil dabei, damit konnte er nicht viel ausrichten. Er blickte sich um. Westlich der Lichtung gab es neben den Felsen auch noch einige Büsche. So leise wie möglich schlich Goigan um die Felsen herum, bis er bei den Büschen ankam. Von hier aus sollte es klappen, dachte er sich und konzentrierte sich darauf seinen Adlerblick einzusetzen. Einige Sekunden später konnte er alles genau erkennen. Vor der Höhle standen fünf Menschen, vier Männer und eine Frau. Sie waren dem Höhleneingang abgewendet und unterhielten sich flüsternd. In der Höhle war es dunkel und das Licht des Lagerfeuers reichte nicht aus, um die Dunkelheit dort völlig zu durchdringen. Doch was er sah genügte ihm. Auf dem Höhlenboden lag gefesselt eine kleine kräftige Gestalt. Er konnte nicht mit Sicherheit sagen, dass dies sein Vater war, doch war sich Goigan sicher, dass er es war und dass er etwas unternehmen musste. Goigan merkte, dass seine Konzentration nachließ. Seine Fertigkeit würde bald seine Wirkung verlieren. Er hatte genug gesehen und wusste, was zu unternehmen war. Die letzten Sekunden sah er wie gebannt in die Finsternis der Höhle und auf den Körper, den er für den seines Vaters hielt. Im letzten Augenblick erschrak Goigan fürchterlich, doch da war der Adlerblick auch schon vorüber. Er überlegte. Hatte er sich dieses Leuchten zweier tiefroten Augen eingebildet, oder war dort wirklich noch „Etwas“ in der Höhle gewesen? Er war sich nicht sicher, vielleicht hatte er auch nur eine Reflektion des Feuers gesehen, als sich der Wirbel des Adlerauges aufgelöst hatte. Goigan wollte gerade noch einmal seine Fertigkeit einsetzen, als er erschrocken feststellte, dass die Menschen nicht mehr vor der Höhle waren. Wohin waren sie verschwunden und vor allem warum? Hatten auch sie die Augen gesehen oder hatten sie womöglich gemerkt, dass sie beobachtet wurden? Erst jetzt wurde Goigan klar, dass sein Adlerauge für andere sichtbar war, wenn man wusste auf die rotgoldenen Wirbel zu achten.
Instinktiv entschloss sich Goigan alle Vorsicht über Bord zu werfen und sich der Höhle zu nähern. Ohne Waffen war es zwar ein Risiko, aber er war bereit es einzugehen. Er blickte sich noch einmal um, doch von den Menschen war noch immer keine Spur zu sehen. Es hatte keinen Zweck zu warten, er musste jetzt handeln. Geduckt verließ er sein Versteck und schlich so schnell es ging in Richtung Höhle.

Dass die Stimmen verstummt waren, machte Oron nervös. Die Leute, die ihn entführt hatten, waren nicht mehr da. Verzweifelt rieb er seine gefesselten Hände an einer hervorstehenden Kante. Er musste unbedingt seine Fesseln loswerden. Es dauerte nicht lange, da konnte er sich die Fesseln und das alte Tuch, mit dem sie ihm die Augen verbunden hatten, abnehmen. Auf dem Boden liegend spähte er vorsichtig nach draußen, wo aber nur das Lagerfeuer einsam vor sich hin brannte. Vielleicht war ihm das Glück ja doch hold, dachte sich Oron und stand auf, erstarrte aber sofort vor Schreck! Als er beim Aufstehen hinter sich blickte, schauten ihn zwei glühend rote Augen an. Die Augen strahlten Kälte und Boshaftigkeit aus, doch war Oron auch nicht im Stande seinen Blick abzuwenden. Wie paralysiert blickte er in die Augen des Wesens, das sich in der Dunkelheit der Höhle versteckt hielt. Erst das tiefe kehlige Knurren brachte Oron wieder zu sich. Zwar wollte er seinen Blick noch immer nicht abwenden, aber jetzt setzte er sich wenigstens rückwärts in Bewegung. Dank des Lagerfeuers fand er den Ausgang der Höhle ohne Probleme.
Das einzige Problem bestand nur noch darin, die Flucht zu ergreifen. Das Wesen folgte Oron auf jeden Schritt und jetzt, da das Licht des Feuers die Höhle erleuchte, erkannte der alte Jäger zwei große, schuppige Klauen.

Goigan lief von Deckung zu Deckung und näherte sich so schnell es ging der Höhle. Er hatte ein mulmiges Gefühl. Als er gerade wieder zum nächsten Spurt ansetzen wollte, traf ihm ein kleiner Stein am Hinterkopf. Sein Blick suchte das nahe liegende Buschwerk ab und erblickte eine kleine Gestalt, die ihm, in einer Ecke gekauert, zu sich winkte. Hin und her gerissen von seinem Vorhaben zur Höhle zu gelangen und zu erfahren, warum ihn die Gestalt davon abhalten wollte, starrte er die Gestalt an. Bei genauerem Hinsehen erkannte er, dass es ein sehr alter Zwerg sein musste. Egal, für ein Gespräch war auch später noch Zeit, erst einmal musste er sich um seinen Vater kümmern. Doch bevor er seinen ersten Schritt in Richtung Höhle machen konnte, trafen ihn zwei weitere Steine am Hinterkopf. Verdammt! Für so was hatte er jetzt keine Zeit, was konnte so wichtig sein? Ärgerlich ging er auf den alten Zwerg zu. Goigan betrachtete den Alten. Er lag zusammengekauert an einen Felsen gelehnt und zitterte am ganzen Körper. Seine Augen waren vor Angst geweitet und er stammelte ununterbrochen die Wörter „Nicht zur Höhle gehen.“, „Defias“ und „Gefahr“.
Was hatte das nun wieder zu bedeuten? Goigan kannte natürlich die Defias und war auch schon des Öfteren mit einigen ihrer Schergen aneinander geraten. Aber so gefährlich waren sie ihm nie vorgekommen. Was konnten diese Schurken dem alten Zwerg angetan haben, dass er so verängstigt in der Ecke hockte.
Defias hin oder her, Goigan musste sich jetzt um seinen Vater kümmern. Er bedeutete dem alten Zwerg, sich keine Sorgen zu machen und ohne weiter auf sein Gezeter zu achten, machte sich Goigan wieder auf den Weg.

„Soso, da hat sich der Alte also versteckt!“ Erschrocken drehte sich Goigan um. Einer der Männer, die er vorher gesehen hatte, stand über den alten Zwerg gebeugt und zielte mit einer Armbrust auf seinen Kopf. „Und Verstärkung hat er sich auch mitgebracht“, sagte eine schadenfrohe Frauenstimme hinter Goigan und er spürte auch gleich darauf etwas Spitzes an seinem Rücken. Gleich darauf tauchten auch die drei anderen Männer hinter den Felsen auf. Schadenfroh grinsten sie die den alten Zwerg und Goigan, der mittlerweile neben dem Alten saß, an. „Na wen haben wir denn da? Noch ein Schatzjäger?“, fragte einer der Männer mit einem zynischem Unterton, worauf ein anderer sofort einwarf, dass ihnen all jenes gehöre, was sich in der Höhle befindet.
Auf einmal erhob sich der Alte, sein Gesicht kreidebleich vor Angst. „Alexstraza steh uns bei, er ist erwacht!“

Oron’s Angst schlug beim Anblick des schwarzen Drachen in Panik um. Nichts konnte ihn jetzt noch davon abhalten, panisch aus Höhle zu stürzen. Er wusste, es würde den Drachen provozieren, doch hier zu bleiben käme einem Selbstmord gleich.
Atemlos kam er aus der Höhle gerannt. Die Panik verlieh dem kleinen Zwerg Kraft und er hechtete über das Lagerfeuer hinüber und duckte sich hinter einen Felsen, der mitten auf der Lichtung lag. Im nächsten Moment blies ein schwarzer Feuersturm aus der Höhle hinaus und verzerrte alles, was in seinem Weg lag. Gefolgt von einem bösartigen Knurren kroch der Drache ins Freie. Es war ein riesiges Wesen, sein ganzer Körper war mit schwarzen Schuppen bedeckt und aus seinem Schlund ragten riesige Fangzähne. Ein wilder Blick suchte die Gegend nach seiner Beute ab und blieb auf den verängstigten Gestalten der fünf Menschen hängen.
Sie hatten ihre Armbrüste jetzt nicht mehr auf Goigan und den alten Zwerg gerichtet, sondern wichen Schritt für Schritt zitternd zurück. Einer von ihnen erhob seine Armbrust gegen den Drachen und schoss einen Bolzen ab, doch damit machte er den Drachen nur noch wilder. Wutentbrannt stampfte der Drache auf die Gruppe zu, einen Feuerball nach dem anderen in ihre Richtung feuernd. Sein Gebrüll ging einem durch Mark und Bein.
Der Mann, der auf den Drachen gefeuert hatte, wurde als erster von einem Feuerball getroffen. Sein schmerzerfüllter Schrei gellte durch die Nacht und verstummte erst, als ihn die mächtige Klaue des Drachen traf. Die vier übrigen Defias rannten in verschiedene Richtungen davon. Der alte Zwerg und Goigan blieben von den Attacken verschont und der Drache schien sie auch nicht zu bemerken, denn er stapfte hinter den Flüchtenden her.

Als der Drache hinter den Felsen verschwunden war, richtete sich der alte Zwerg auf und kehrte aus seiner Steingestalt zurück. Goigan tat es ihm gleich und sah den Alten erstaunt und zugleich erschrocken an. Warum hatte der Drache sie nicht bemerkt? Und wieso lebte hier oben überhaupt ein Drache? Viele Fragen schwirrten in seinem Kopf herum, doch die Antworten mussten warten. Zusammen rannten sie zu dem Felsen, hinter dem sich Oron versteckt hatte. Von dem Felsen waren nur noch einige glühende Brocken übrig geblieben, doch aus irgendeinem Grund, war Oron nichts passiert.
„Was ist hier eigentlich los?“, fragte Goigan aufgeregt in die Runde.
Der alte Zwerg sah ihn prüfend an, antwortete aber schließlich. „ Es ist eine lange Geschichte für die wir jetzt keine Zeit haben, wir müssen den Drachen zurück in die Höhle bringen und dafür sorgen, dass er wieder einschläft.“
Entgeistert blickte Goigan den Alten an. „Und wie sollen wir das machen? Der Drache ist viel zu stark für uns drei, wir haben nicht einmal eine Waffe! Und selbst die würde uns wohl nicht viel nützen.“ Erschrocken sah er sich um, als aus der Nacht ein weiterer Schrei ertönte und dann plötzlich abbrach.
Der Alte blickte Goigan fest in die Augen, zurrte einen kleinen Beutel von seinem Gürtel und hielt ihn ihm vor sein Gesicht. „Damit wird er wieder einschlafen, so wie es seine Bestimmung ist. Wir müssen ihn nur in die Höhle locken und ihm das Pulver auf sein Haupt streuen.“ Mit diesen Worten wandte sich der Alte der Höhle zu und ging ohne sich noch einmal umzudrehen hinein.
Entgeistert packte Goigan den Arm seines Vaters. „Das ist doch Wahnsinn! Lass uns lieber sehen, dass wir von hier verschwinden!“
Doch sein Oron schüttelte nur geistesabwesend den Kopf. „Sie ist also doch wahr“, murmelte er vor sich her, „die Legende ist wahr.“
Noch einmal versuchte Goigan seinen Vater von einer Flucht zu überzeugen. Dieses Mal reagierte sein Vater, doch anders als es Goigan erhofft hatte. Er streifte Goigans Hand ab und sah ihm bedeutungsvoll an. „Wir müssen dem alten Zwerg helfen, die Legende die mein Vater immer erzählte, sie stimmt. Wenn wir ihm nicht helfen, wird ein furchtbares Unglück geschehen.“
Verständnislos sah Goigan seinen Vater an, er konnte nicht glauben, was er da sagte.

„Hör zu Goigan, du musst dich an das Gedicht erinnern, was ich dir in deiner Kindheit erzählt habe, das was mein Vater mir und sein Vater ihm erzählt hatte. Die Legende des Einsiedlers, das Gedicht, das alles ist wahr!“

In Dunkelheit geborgen,
dunkel wie sein eigen Herz.
Schläft das Wesen,
Mächtig! Böse!
Schläft geruhsam, ewiglich.

Nie erwachen darf das Böse,
Nie erblicken soll’s den Mond.
Rote Augen, schwarzes Feuer,
sonst verzehrt Mensch, Elf und Gnom.

In der Erde liegt die Macht,
den Stein es kann nicht sehen.
Kraft den Zwergen nur gegeben,
im Stein Ihn zu besiegen.

Schlafen muss Er ewiglich!
Mit der Erde Kraft,
Ihn beruhigen, Ihn bezwingen,
Nur ein Zwerg hat diese Macht.

Goigan erinnerte sich an die Verse, die er in seiner Kindheit so oft gehört hatte. Er hatte ihnen nie wirklich Glauben geschenkt, sie waren eben eine nette Legende, wie jedes Volk seine Legenden und heroischen Geschichten hatte. Nie hatte er es für möglich gehalten, dass diese Geschichte war sein könnte.
All seine Furcht war nun verflogen, er wusste dass sein Vater und der alte Zwerg Recht hatten, er musste den beiden helfen die Bestie zu beruhigen und wieder einschlafen zu lassen. Hinter ihnen wurde es immer ruhiger, nur das beständige Knurren des Drachens verriet seine Anwesenheit. Von den Defias konnte nur noch einer am Leben sein, die Schreie der anderen hatten ihren Tod verraten.
Es galt jetzt sich zu beeilen, der Drache konnte jeden Moment wieder auftauchen.
Oron und Goigan gingen zügig zur Höhle, wo der alte Zwerg sie schon erwartete. Schnell erklärte er ihnen, dass er den Drachen mit dem Staub in seinem Beutel einschläfern könne. Oron und Goigan sollten dafür sorgen, den Drachen anzulocken.

Eine schwere Aufgabe lag vor den drei Zwergen, doch ihr Glaube an die Kraft der Erde schenkte ihnen Mut. Mit einem spitzen Stein fügte Oron eine Wunde am Arm zu, der Geruch ihres Blutes sollte den Drachen anlocken.
Es dauerte nicht lange, da blitzten zwei rote Augen vor ihnen auf. Ein ohrenbetäubendes Gebrüll durchschnitt die Nacht und der Drache kam mit peitschendem Schwanz auf sie zu gerannt. Oron stand dem Drachen am nächsten. Er rannte los bis er zu einem Geröllhaufen kam. Dort nahm er dann seine Steingestalt an. Wütend sah sich der der Drache um, sein Ziel und den Geruch des Blutes hatte er plötzlich verloren. Doch da tauchte auch schon Goigan hinter einem Felsen auf, blutige Wunde am Arm. So schnell er konnte, rannte er auf die Höhle zu, den Drachen im Schlepptau. Goigan wusste, er musste tief in die Höhle hinein gehen. Der Staub, so hatte ihm der alte Zwerg erklärt, wirkte nur in völliger Dunkelheit.
Goigan konnte nicht erkennen wo er hinlief, doch spürte er den bohrenden Blick des Drachens in seinem Rücken. Mit einem Mal wurde er zur Seite gerissen. Der Alte wies ihn an, seine Steingestalt anzunehmen und Goigan gehorchte sofort. Im innern der Höhle hörte sich das Gebrüll des Drachens noch schrecklicher an. Goigan konnte nicht erkennen, was dort geschah, er sah nur schattenhafte Bewegungen und das mehrmalige Aufblitzen roter Augen. Dann folgte ein lautes Rumpeln und das Knurren des Drachens ging über einen rasselnden Atem in vollkommene Stille über.

Völlig außer Atem trafen sich die Zwerge vor der Höhle wieder. Sie hatten es geschafft und dieses unmögliche Abenteuer auch noch überlebt. Viele Fragen verwirrten ihre Gedanken. Gemeinsam gingen sie zum Zelt zurück, der alte Zwerg wollte ihnen erklären, wie es zu all dem kam. Am Lagerfeuer erzählte er von seinen Großeltern. Sie wurden damals vom König angewiesen, sich um die Bewachung des Drachens zu kümmern. Niemand durfte von dem Drachen erfahren, er schlummerte schon Jahrhunderte in der Höhle und seine Existenz musste geheim bleiben. So gelobten sie Stillschweigen zu bewahren und lebten seither hier oben. Als seine Großeltern starben übernahmen seine Eltern die Aufgabe und später dann auch er. In der Zeit war der Drache nie erwacht, aber Gerüchte über einen Schatz oder einer Waffe hatten sich verbreitet. Die Defias hatte schon einmal versucht das Geheimnis der Höhle zu lüften, doch der schlafende Drache hatte jedes weiterkommen verhindert und dem Alten war es gelungen, sie zu verscheuchen. Doch gestern, drei Jahre später, waren sie wieder gekommen um ihre Missetaten zu beenden. Irgendwie haben sie erfahren, wie der Drache aus seinem Schlaf gerissen werden konnte. Wären Goigan und Oron ihm nicht zur Hilfe geeilt, so glaubte er, würde der Drache jetzt sein Unwesen in Azeroth treiben.
Die drei Zwerge verstanden sich prächtig und unterhielten sich noch sehr lange, bevor sie endlich einschliefen. Am nächsten Morgen packten Goigan und Oron ihre Sachen und versprachen, dem König von Ironforge Bericht zu erstatten und dem Einsiedler Hilfe zu schicken...